1.) Insekten und andere Gliederfüßer (Arthropoda) umfassen in der Bundesrepublik Deutschland mehr als 36.000 Arten,
das sind etwa 80% aller hier lebenden Tierarten. Sie sind als Bestäuber von Pflanzen, als Regulatoren, in Nahrungsketten und durch den Abbau von organischen Substanzen von größter ökologischer Bedeutung und unersetzlich. Die Erhaltung einer für den jeweiligen Standort typischen Artenvielfalt ist die Voraussetzung für die Erhaltung der Leistungsfähigkeit des Naturhaushaltes und für die Funktion von komplexen Lebensgemeinschaften, in die auch der Mensch integriert ist.
2.) Arthropoden können, ebenso wie Wirbeltiere effektiv nur durch die Bewahrung ihrer Lebensräume geschützt werden.
Die aus der Wirbeltierkunde abgeleiteten Maßnahmen des Schutzes von Einzelindividuen sind bei Insekten aufgrund des hohen Vermehrungspotentials und der kurzen Lebensdauer ökologisch nicht begründbar; sie dienen allenfalls der plakativen Befriedigung ethischer Bedenken. Es gibt keinen authentischen Fall, in dem eine Insektenform (Art, Rasse, Population) durch entomologisches Sammeln ausgerottet wurde oder durch Sammelverbot gerettet werden konnte.
3.) Erhaltungs- und Pflegemaßnahmen für die Insektenfauna der verschiedenen Biotoptypen greifen jedoch nur auf Basis guter faunistischer Kenntnisse. Unsere Kenntnisse über Formenvielfalt und Lebensweise der Arthropoden sind noch weitgehend unzureichend. So sollen faunistische Bestandsaufnahmen dazu beitragen, den Rückgang der Artenvielfalt abzuschätzen und möglichst aufzuhalten. Dabei ist die Erstellung der „ Roten Listen der gefährdeten Tierarten“ ein wichtiges Mittel. Die zahlenmäßig wenigen Berufsentomologen sind allein nicht in der Lage, alle notwendigen Forschungsaufgaben wahrzunehmen. Die hohe Qualifikation von Freizeitforschern in der Artenkenntnis und ihre detaillierten Beobachtungen bilden eine unverzichtbare Grundlage für die weitereerfolgreiche wissenschaftliche Arbeit und den Naturschutz.
4.) Immer wieder wird die Frage gestellt, ob das Sammeln und Töten von Insekten in der heutigen Zeit noch vertretbar ist.
Die Gefährdung von Arthropoda beruht jedoch fast ausschließlich auf der Vernichtung und Einengung ihrer Lebensräume, dem Rückgang vieler Pflanzenarten sowie derjenigen Tierarten, die Arthropoden als Wirte dienen. Die Ursache dafür liegt bei der immer intensiveren Nutzung der natürlichen Umwelt durch den Menschen. Mit ihr verbunden sind eine zunehmende Verbauung, chronische Vergiftung der Böden und der Luft, nachhaltige Veränderungen des Wasserhaushaltes und ein stetig zunehmender Trophiegrad der Umwelt. Das Sammeln ist die einzige zuverlässige und nachvollziehbare Methode zur Dokumentation des Vorkommens von Arthropodenarten und dient der Reproduzierbarkeit wissenschaftlicher Ergebnisse, denn im Gegensatz zu den meisten Wirbeltieren lassen sich viele Arthropodenarten erst nach entsprechender Präparation bestimmen.
5.) Bestimmte rationelle Formen des Aufsammelns von Arthropoden mit Fallen sind für systematische, ökologische und naturschutzrelevante Untersuchungen unerlässlich. Jedes Sammlungsexemplar enthält eine Fülle wissenschaftlicher Informationen. Eine Sammlung stellt damit eine durch nichts ersetzbare Datenbank dar, in Sammlungen enthaltene Typen sind Belegexemplare, die nach den „internationalen Regeln zur Zoologischen Nomenklatur“ die einzige objektive Definition der jeweiligen Art darstellen. Sie sind wissenschaftliches Kulturgut höchster Priorität. Ohne verantwortungsvolle Arbeiten zur Erfassung des Arteninventars werden wir bald nur noch oberflächlich über Fauna und Flora unseres Landes informiert sein. Zwar werden dann offiziell auch keine Arten mehr aussterben, weil keiner sie kennt und es bemerkt, doch wird sich auch niemand rechtzeitig für den Schutz der bedrohten Lebensräume und ihrer Organismen einsetzen können.
Allgemeines
- Durch verantwortungsvolles Arbeiten zur Erfassung des Arteninventars und der ökologischen Ansprüche der Arthropoden werden von uns wichtige Grundlagen für die Erhaltung ihrer Artenvielfalt gelegt.
- Soweit aufgrund der diffizilen Nachweis- und Determinationsmethoden bei Insekten fachlich möglich, erfolgt die Erfassung des Arteninventars in der Reihenfolge Bestimmung durch Beobachtung, Bestimmung durch Lebendfang bzw. Bestimmung durch Tötung und Präparation.
- Soweit wissenschaftlich bei einzelnen Arthropodengruppen vertretbar, bevorzugen wir die fotografische oder gegebenenfalls die akustische Dokumentation des Vorkommens.
- Das Sammeln und Töten von Arthropoden ist für uns eine Grundlage zur fachlichen Bearbeitung ökologischer, taxonomischer und naturschutzrelevanter Fragestellungen, dient also wissenschaftlichen Zwecken.
- Das Sammeln von Tieren für rein kommerzielle Zwecke sowie die Verarbeitung von Arthropoden zu „Kunstobjekten“ sind ethisch nicht vertretbar und werden von uns abgelehnt.
- Wir entnehmen bei Aufsammlungen nur so viele Organismen der Natur, wie für den jeweiligen wissenschaftlichen Zweck unbedingt erforderlich ist und ohne das eine Bestandsgefährdung der Art am Sammelplatz erkennbar wird.
- Ein wissenschaftlicher Fang von Individuen aus Vorkommen isolierter Populationen gefährdeter, stark gefährdeter oder vom Aussterben bedrohter Arten wird vermieden. Lebend bestimmbare, vom Aussterben bedrohte Arten werden bei größter Zurückhaltung nur ausnahmsweise und in wenigen wissenschaftlich gut begründeten Fällen getötet. Gebietsweise muss auch ein generelles Fangverbot durchgesetzt werden. Bestandskontrollen und gezielte Maßnahmen zur Biotoppflege sollte jedoch nichts entgegenstehen.
- Ein besonderes Augenmerk wird auf die Förderung der Erfassung und Bearbeitung von Insektengruppen, die bisher regional kaum oder gar nicht Gegenstand faunistischer oder ökologischer Untersuchungen waren, gelegt.
- Wir streben an, das Ungleichgewicht zwischen der Intensität der Bearbeitung und der Zahl der Bearbeiter von Großinsekten (Schmetterlinge, Heuschrecken, Laufkäfer, Libellen) und Kleininsekten (viele Familien der Käfer, Zweiflügler, Hautflügler etc.) abzubauen.
- Seriöser Naturschutz kann nur mit ganzheitlichen Betrachtungen von Biozönosen betrieben werden, daher bemühen wir uns in unseren Projekten, zusätzlich zur Erfassung und Bewertung der Insektenfauna begleitende Daten (Prädatoren, Symbionenten, Biotopstrukturen, Pflanzengesellschaften, Böden, Nutzungsformen etc.) zu erfassen und deren Bearbeitung durch Andere anzuregen.
- Der Einstieg von Laien in das umfangreiche Fachgebiet der Insektenkunde kann nur über die Anlage von Vergleichs- bzw. Belegsammlungen erreicht werden. Wir sichern dem fachlichen Nachwuchs jegliche Unterstützung zu, um auch künftig noch in der Lage zu sein, entomologische Fragestellungen auf hohem fachlichem Niveau zu bearbeiten.
Zusammenarbeit mit Behörden und wissenschaftlichen Einrichtungen
- Die Entomologen des Naturschutzbundes Deutschland e.V. (NABU) arbeiten in Kenntnis der bestehenden
gesetzlichen Bestimmungen (Bundesnaturschutzgesetz, Bundesartenschutzverordnung, EG- und Landesgesetzgebung sowie Rote Listen). - Wir machen unseren Einfluss geltend, um eine Beseitigung erheblicher fachlicher Defizite, wie sie zum Beispiel die Bundesartenschutzverordnung erkennen lässt, zu erreichen.
- Entomologen, die diesen Ehrenkodex durch ihre Unterschrift anerkennen erhalten ein Zertifikat des BFA Entomologie, welches Genehmigungsanträgen zum entomologischen Sammeln beigefügt werden kann.
- Akute Gefahren für stark bedrohte oder vom Aussterben bedrohte Arten – zum Beispiel durch Habitatzerstörung oder anderweitige Individuenreduzierungen – werden, sobald möglich der zuständigen Unteren Naturschutzbehörde und den örtlichen Naturschutzverbänden mitgeteilt. Ähnliches gilt für neu entdeckte Vorkommen der betreffenden Arten, um ihren Lebensraum sichern zu können.
- Eine Weitergabe von Daten unterliegt den Bestimmungen des Eigentums- und Urheberrechts. Sie hat ohneEinverständnis des Urhebers zu unterbleiben.
- Die Entomologen des NABU wirken bei der Ausarbeitung und Präzisierung von Roten Listen oder bei der Neufassung von gesetzlichen Bestimmungen aktiv mit und bringen ihre Fachkenntnis ein.
Sammeltechniken
- Es werden, soweit Artengruppe und Fragestellung es zulassen, die für die jeweiligen Biotopstrukturen ökologisch verträglichen Sammeltechniken ausgewählt. Dabei bleiben die beim Sammeln zwangsläufig entstehenden Störungen im Lebensraum, insbesondere im Hinblick auf die Beunruhigung von Wirbeltieren bei der Aufzucht ihrer Nachkommenschaft oder die Zerstörung der Vegetation auf ein minimales Ausmaß beschränkt.
- Totholzlagerstätten, Steine, Mooslager und andere Biochorien werden so untersucht, dass ihr ursprünglicher Zustand weitgehend wiederhergestellt wird und mindestens die Hälfte aller derartigen Lebensstätten im Untersuchungsgebiet unbeeinträchtigt bleibt.
- Lebend determinierbare Arthropoden werden vor Ort registriert und unter schonenden Bedingungen freigelassen. Die je nach Fragestellung wichtige Dokumentationspflicht des Artennachweises bleibt davon unberührt. Die Pflicht zur schonenden Freilassung gilt auch für alle nicht zu bearbeitenden Arthropoden, soweit die angewandten Methoden dies zulassen.
- Spezifisch lockende oder automatisch, todbringende Fangtechniken, zum Beispiel bestimmte Lichtfangfallen oder Gelbschalen im Dauerbetrieb, werden nur dort eingesetzt, wo dies ausdrücklich wissenschaftlich begründet und der Artbestand dadurch nicht gefährdet ist.
- Unvermeidbare „Beifänge“ werde, soweit möglich, Spezialisten zur wissenschaftlichen Bearbeitung angeboten.
- Die durch Aufsammlung entnommenen Organismen werden unverschlüsselt mindestens mit Fundort, Fangdatum und Sammlernamen versehen.
- Es wird angestrebt, die gesammelten Organismen und alle in diesem Zusammenhang gewonnenen Angaben der wissenschaftlichen Auswertung, z. B. in Form von Belegsammlungen und Veröffentlichungen, zugänglich zu machen. Mit der wissenschaftlichen Bearbeitung durch andere verbundene Auflagen bestimmt der Eigentümer.
Zucht und Wiederansiedlung
Für Vergleichszwecke und zur Ermittlung der Variabilität einzelner Arten werden Zuchten durchgeführt.
Der Natur werden nur so viele Tiere des betreffenden Entwicklungsstadiums entnommen, wie für den Zuchtzweck unbedingt notwendig und aufgrund des vorhandenen Futterangebotes züchtbar sind.
Bei Zuchten anfallende Parasitoide, Parasiten oder Prädatoren werden Spezialisten übereignet, mit den entsprechenden Daten zugänglich gemacht oder entliehen.
Für den entsprechenden wissenschaftlichen Zweck nicht erforderliche gezüchtete Tiere werden unter geeigneten Bedingungen am Ursprungsort ausgesetzt.
Eine Wiederansiedlung von nachweislich lokal ausgestorbenen Arthropodenarten wird in Zusammenarbeit mit den Behörden nur bei vorliegenden Möglichkeiten einer Entnahme von Individuen aus nahe stehenden intakten Populationen und wissenschaftlich begründeten, guten Erfolgsaussichten vorgenommen. Eine Gefährdung der „Spenderpopulation“ darf nicht eintreten. Die Ergebnisse der Wiederansiedlung werden genauestens dokumentiert (Herkunft des Materials, Datum, Anzahl der ausgesetzten und später registrierten Tiere).
Sammlungsverbleib
Eine nach heutigem Sachstand angelegte Insektensammlung hat einen hohen wissenschaftlichen und kulturellen Wert. Über das Engagement des Sammlers werden durch die Erfassung, Präparation, Etikettierung und Determination zudem erhebliche materielle Werte aufgebaut. Private Besitzer sind deshalb bestrebt, durch Schutz- und Pflegemaßnahmen die biologischen Materialien optimal zu erhalten. Sie bemühen sich, nahe stehende Familienmitglieder und wissenschaftliche Einrichtungen über einen späteren Verbleib der Sammlung zu informieren. Sammlungen, die Material enthalten, über das publiziert worden ist, sollte im Allgemeinen an Museen gelangen oder solchen Institutionen zumindest angeboten werden.
Autoren
BFA Entomologie im Naturschutzbund Deutschland e.V. unter Mitarbeit von Dr. Wolfgang Vorbrüggen (AG Rheinisch-Westfälischer Lepidopterologen e.V.), Dr. Jürgen Deckert und Prof. Dr. Peters (Museum für Naturkunde der Humbolt-Universität zu Berlin), Prof. Dr. Klaus Horstmann (Theodor-Boveri-Institut für Biowissenschaften der Universität Würzburg), Markus Roesler (NABU, BFA Landnutzung, BAG Streuobst), Dr. habil. Rudolf Thust (Thüringer Entomologenverband e.V. im NABU), Heinz Schwan, Dr. Martin Sorg und Friedhelm Bahr (Entomologischer Verein Krefeld e.V.), Dr. Jörg Gelbrecht (Entomofaunistische Gesellschaft e.V. und Arbeitskreis Lepidoptera Berlin-Brandenburg) u.a.
Nachsatz
Mit der redaktionellen Bearbeitung des hier vorgelegten „Ehrenkodex“ waren zahlreiche deutsche Entomologen seit einem Jahr befasst. Ziel dieser Arbeit war es, die Bemühungen der Entomologen um den Schutz von Insekten in den richtigen Rahmen zu stellen und ungerechtfertigte Schuldzuweisungen, wie „Entomologen rotten Insekten aus“, mit denen von den wahren Ursachen des Artenschwundes abgelenkt werden soll, entgegen zu wirken. Über 200 deutsche Entomologen, auch die Redaktion der „Entomologischen Nachrichten und Berichte“, haben sich durch Unterschrift zum Ehrenkodex bekannt.
G. Müller-Motzfeld